Doppelscheune

Doppelscheune – Umnutzung einer denkmalgeschützten Doppelscheune zum Wohngebäude mit 4 Wohneinheiten

Im Tübinger Süd-Westen liegt der, historisch als Straßendorfs gewachsene, Ortskern von Tübingen-Derendingen. Doch der Ortsteil befindet sich im Wandel. Altbestand wird saniert und/oder umgenutzt, Potentialflächen nachverdichtet oder neu bebaut. Hier befindet sich, in direkter Nachbarschaft zu Kirche, altem Schulgebäude, historischem Backhaus und mehreren historischen landwirtschaftliche Gebäuden, eine denkmalgeschützte, 1806 errichtete Doppelscheune, welche mit zwei großen Tennentoren und zwei Stallbereichen, unmittelbar an der Straße steht. Das einfache und durch zahllose Schuppen und Anbauten erweiterte Ökonomiegebäude wurde, initiiert von einer privaten Baugemeinschaft, zum Mehrfamilienhaus mit 4 Wohneinheiten umgenutzt. 

Das neue Innenleben des Baudenkmals lässt sich von der Straße blickend erst auf den zweiten Blick erahnen. Die Gebäudehülle wurde nur wenig verändert, der Charakter des Landwirtschaftsgebäudes blieb erhalten. Im Bereich der ehemaligen Scheunentore verdecken senkrechte naturbelassene Holzlamellen einen Großteil der großzügigen Verglasungen. Nur hier öffnet sich, vor allem in den Abendstunden, der Blick in die ehemalige Tenne, die nun Wohnraum ist.

Öffnungen in den traufseitigen Sichtfachwerkbereichen bleiben aufs Nötigste beschränkt und treten lediglich als kleine Fenster und neue „Stalltüren“ in Erscheinung. Sandstein- und Backsteinsockel wurden ertüchtigt und instand gesetzt. Die imposante straßenseitige Dachfläche wird nur durch drei kleine Fensterbänder unterbrochen. Durch die ehemaligen Stalltüren wird das Gebäude betreten und der Zugang zu den vier Wohnungen organisiert.

Sowohl die zwei Wohnungen im Sockel als auch die Wohnungen im Dach sind durch die überhohen Aufenthaltsbereiche mit eingestellten Emporen geprägt. Diese befinden sind in den ehemaligen nun zweigeschossigen Tennen und im 2-3 geschossigen Dachraum und lassen diese gebäudeprägenden Räume, trotz hoher gebauter Dichte, auf besonderen Weise nutzen und wahrnehmen.

Technische und Materielle Umsetzung / Maximale Wiederverwendung von Materialien: Zielsetzung war es die Hülle des Gebäude weitestgehend unberührt zu belassen und die Sockel behutsam zu sanieren. Dennoch musste das gesamte Bauwerk unterfangen und neu gegründet werden. Oberste Prämisse war es möglichst viele der vor Ort vorgefundenen Hölzer einer ehemaligen Wagnerei als Reparaturstücke weiterzuverwenden und das Gebäude auf eine der ursprünglichen Bauzeit angemessene Bauweise zu ertüchtigen.

Hölzernes Tragwerk erhalten, Neues additiv und in Holz ergänzen: Das gesamte hölzerne Tragwerk des Gebäudes samt dreigeschossigem Dachstuhl wurde mit hohem handwerklichen Aufwand und Können behutsam ertüchtigt und ist auch nach der Umnutzung in allen Gebäudeteilen sichtbar erhalten. Neue Decken-, Dachschalungen und zusätzliche Bauteile wurden additiv aus heimischem, massiven Nadelhölzern ergänzt, bestehende und neue Hölzer als klassische zimmermannsmäßige Verbindungen hergestellt.

Die Fehlstellen und abgängigen Fachwerkbestandteile konnten mit vor Ort befindlichen Altholz ertüchtigt werden. Die Gefache wurden, wo nötig, mit Lehmsteinen ergänzt. Alte und neue Gefachfüllungen wurden außenseitig mit einem Hanf-Kalkputz ohne Beschichtung versehen. Im Inneren würde das Fachwerk und die Sockelbereiche aus Sand- und Backstein flächig mit einem 6-10 cm dicken Kalk-Dämmputz überzogen. Das Dach wurde auf den bestehenden Sparren gedämmt und ist mit naturroten Rundschnitt-Bibern gedeckt. Dachfenster und alle außenliegenden Verwehrungen wurden in Kupfer realisiert. Lediglich die im Sockel verbauten Holzfenster und Türen treten nach außen mit einem farblichen Akzent in einem dunklen blau- grün in Erscheinung. Als besonders Gestaltungsmerkmal wurde in den jeweils doppelgeschossigen Wohnbereichen aller Wohneinheiten eine raumprägende Holztreppe eingestellt. Diese dient in den Erdgeschossen als multifunktionales Möbelstück und tritt im Dachgeschoss luftiger und skulpuraler in Erscheinung.

Das Gebäude zeigt, wie eine zeitgemäßer Umgang mit denkmalgeschützten Bestandsstrukturen funktionieren kann. Der Fokus lag auf einer einfachen Ausführung, Zirkularität bei gleichzeitiger hoher Energieeffizienz und suffizienter räumlicher Nutzung trotz der Zwänge durch das Baudenkmal. Das Projekt versteht prototypisch im Hinblick auf viele aktuelle architektonische Diskurse um Zirkularität, angemessen Umgang mit Bestand und kann als baukulturelle Annäherung an die Bauwende gelesen werden.

Projektinformationen

Ort: Tübingen
Realisierung: 2020-2024
Bauherr: private Baugemeinschaft
Entwurf und Planung: KO/OK Architektur
Tragwerksplanung: Felix Mildner Tragwerksplanung
Energieberatung Baudenkmal: Dipl.-Ing. Verena Klar
Grafik und Pläne: KO/OK Architektur
Fotos: Sebastian Schels